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Commentary | 6 September 2017

Für eine europäische Verteidigungsunion

Defence EU Germany European Defence

To read this article in English see For a European Defence Union.

Die Welt scheint aus den Fugen geraten: Der Terrorismus des IS erschüttert den arabischen Raum und europäische Metropolen. Bürgerkriege und Hungersnöte treiben Millionen Menschen in die Flucht. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Eskalation der Ukraine-Krise ist das Verhältnis zu Russland angespannter denn je. Und die USA – einstiger Garant und Gestalter einer liberalen Weltordnung – laufen unter Präsident Donald Trump Gefahr, sich von einer globalen Führungsmacht zu einem Fürsprecher des Nationalismus und Isolationismus zu entwickeln.

Das Pulverfass im Nahen Osten, die Krise der EU, Trump, Putin, Erdogan und Kim Jong Un sind Chiffren für eine Welt, die sich derzeit in einem dramatischen geopolitischen Wandel befindet. In diesen Zeiten der Unsicherheit haben Deutschland und Europa die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen: Wir müssen unsere eigene Bevölkerung schützen und dazu beitragen, internationale Krisenherde zu befrieden.

Dies erreichen wir jedoch nicht mit Abschottung und mehr Nationalstaatlichkeit. Amerika zuerst, Frankreich zuerst, wer auch immer zuerst – das sind keine geeigneten Modelle für friedliches Zusammenleben der Völker im 21. Jahrhundert. Das ist Nationalismus. Das genaue Gegenteil ist die Europäische Union. Sie ist eine einzigartige Form der transnationalen Demokratie, in der unterschiedlichste Nationen zusammen arbeiten, ihre Grundwerte umsetzen und in der Welt verteidigen. Gerade in Zeiten internationaler Unsicherheit müssen wir sie stärken und ausbauen – auch im Wege einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik.

Das Ziel der SPD ist der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion. Schon wirtschaftlich spricht vieles für eine stärkere Zusammenarbeit der EU-Länder: Derzeit kaufen in Europa 27 Armeen mit 27 Beschaffungsverfahren die gleichen Rüstungsgüter. Während die USA mit 30 unterschiedlichen Waffensystemen auskommen, leisten sich die EU-Mitgliedsländer 178 verschiedene Waffensysteme für ihre 27 Armeen. Schätzungen zufolge verursacht die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten Kosten in der Größenordnung zwischen 25 und 100 Milliarden EUR pro Jahr. Diese Mittel sollten wir in Forschung und Technologie investieren, statt in die Aufrechterhaltung nationaler Parallelstrukturen. Wir sollten darum mit unseren EU-Partnern die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausbauen. Unser langfristiges Ziel ist eine Europäische Armee. Den Rahmen dafür kann der Lissabon-Vertrag bilden.

Ein solcher Zusammenschluss versteht sich als Ergänzung zur NATO und den Vereinten Nationen, nicht als deren Konkurrenz. Eine Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten Einsätzen muss immer im Rahmen eines UN-Mandats erfolgen. Die Nato bleibt Garant unserer Sicherheit und muss in Anbetracht der internationalen Bedrohungen gut ausgestattet werden. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr in einem ersten Schritt den Verteidigungsetat um 2,7 Milliarden Euro erhöht.

Die deutsche Bundeswehr braucht eine bessere finanzielle Ausstattung. Seit Jahren leidet sie unter dem rigorosen Spardiktat konservativer Politiker: Sie braucht Hubschrauber, die fliegen; einsatzfähiges Material und gut ausgebildete, leistungsfähige Streitkräfte – sowohl für die neuen Herausforderungen im Bereich Cyberabwehr als auch für die ursprüngliche Aufgabe, der Landes- und Bündnisverteidigung. Eine kontinuierliche Erhöhung des Verteidigungshaushalts ist darum notwendig.

Viele Soldatinnen und Soldaten berichten mir von einer verkorksten Bundeswehr-Reform von 2011. Zwar war der Ursprungsgedanke richtig – Freiwilligenarmee statt Wehrpflicht – allerdings wurde die Bundeswehr doch allzu konzeptlos zusammengestutzt. Karl-Theodor zu Guttenberg, Thomas de Maizière und Ursula von der Leyen haben es als Verteidigungsminister verschlafen, in eine kluge Struktur der Bundeswehr zu investieren. Diese Aufgaben erbt nun der nächste Verteidigungsminister: Bürokratie abbauen, Kompetenzen bündeln, hoch spezialisierte Fähigkeiten ausbilden – und die Zusammenarbeit mit den europäischen Amtskollegen intensivieren.

Eine engere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene führt automatisch zur Möglichkeit, Kräfte zu bündeln. Das „Zwei-Prozent-Ziel“, durch US-Präsident Trump als Zielmarke in den Fokus gerückt, gerät dadurch allerdings noch weiter ins Abseits. In Deutschland liegen die Ausgaben für die Bundeswehr derzeit bei 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht 37 Milliarden Euro. Diese Ausgaben will Merkel – nach eigener Aussage – innerhalb weniger Jahre annähernd verdoppeln. Das ist nicht nur unrealistisch sondern auch unsinnig. Deutschland würde zur mit Abstand größten Militärmacht Europas. Für uns aber gilt: Einen Jahresetat von 70 Milliarden Euro für deutsche Rüstungs- und Verteidigungspolitik wird es mit der SPD nicht geben. Denn uns Sozialdemokraten geht es um bestmögliche Ausrüstung, nicht um größtmögliche Aufrüstung.

Unsere Antwort auf internationale Krisen heißt vielmehr: International setzen wir auf einen umfassenderen sicherheitspolitischen Ansatz. Wir wollen Konflikte und Kriege frühzeitig verhindern. Statt pompöser Militärmacht wollen wir eine Friedensmacht sein und aus dieser Funktion heraus an notwendigen Missionen der UN mitwirken. Wir wollen lokale Polizei- und Sicherheitskräfte ausbilden, Behörden und Gerichte mitaufbauen und Entwicklungsländer von innen heraus wirtschaftlich stärken. Am besten geht das, wenn Europa zusammenhält – auch und gerade in außen- und verteidigungspolitischen Fragen.

Die SPD steht für eine Außen- und Sicherheitspolitik des Friedens. Sie hat unser Land geprägt und Deutschlands Ansehen in der Welt verbessert – von Willy Brandts Entspannungspolitik bis hin zu Gerhard Schröders Nein zum Irakkrieg. Wir Sozialdemokraten werden deshalb auch künftig dafür sorgen, dass zusätzliche Ausgaben für die Verteidigungsfähigkeit einhergehen mit zusätzlichen Ausgaben für Diplomatie, Krisenprävention, humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung. Nur so kann nachhaltiger Frieden in den Krisenregionen dieser Welt einkehren. Das sind unsere Antworten – auch und gerade in unruhigen Zeiten wie diesen.

 

The opinions articulated above represent the views of the author(s), and do not necessarily reflect the position of the European Leadership Network or any of its members. The ELN’s aim is to encourage debates that will help develop Europe’s capacity to address the pressing foreign, defence, and security challenges of our time.